Kinder Kind sein lassen – Helikopter-Eltern
Überzogener Ehrgeiz, absurder Kontrollwahn und ständige Angst sind heute bei vielen Eltern verbreitet.
Wenn sich Jungs mal raufen, wird sofort eine Verhaltensauffälligkeit diagnostiziert. Das in der Schule stolz präsentierte Messer, das der Opa zum Schnitzen geschenkt hat – und sich dabei sicher nichts Böses dachte – gerät plötzlich zum geplanten Amoklauf.
Eltern machen sich oft lächerlich, ohne es zu merken. Fragen wie »Ihr wohnt am See? Gehen die Kinder da jetzt etwa hin? Die können doch ins Wasser fallen!« oder »Wenn die auf Bäume klettern, kann doch ein Ast abbrechen und sie könnten runterfallen!« werden immer wieder gestellt, mit leichter Hysterie in der Stimme oder diesem leicht betroffenen Tonfall, der signalisieren soll, dass meine Kinder ja offenbar total vernachlässigt sind. Vermutlich würde man das Kind am liebsten gar nicht mehr vor die Tür lassen, weil überall Unheil droht.
Mögliche Worst-Case-Szenarien: Insektenstich (zwangsläufiger Erstickungstod oder alternativ mindestens ein veritabler Allergieschock), Autos (90%ige Wahrscheinlichkeit, überfahren zu werden), Hunde (Bisse, Flöhe oder Tollwut), Regen (vermutliche Erkältung und dreckig), Schnee (ganz sichere Erkältung und Genick- oder Schädelbasis-Bruch wegen Eisglätte), Dornen (Tetanus, garantiert tödlich trotz Impfung oder wegen Impfung oder wegen fehlender Impfung), zu hoch (irgendwie immer tödlich), zu tief (Gefahr, lebendig begraben zu werden), zu dreckig, zu laut usw. Gründe, sich Sorgen zu machen oder alles zu verbieten, kann man viele finden.
Kinder Kind sein lassen
Was zuvor etwas überspitzt zum Ausdruck gebracht wurde, bedeutet eigentlich nur, dass das Leben manchmal hart und steinig, unbequem und auch ab und zu recht schmerzhaft sein kann. Kinder sollen Kinder sein, sie sollen spielen dürfen, sich dreckig machen und in einer Gruppe Konflikte lösen, wenn es sein muss, auch mal mit rauen Methoden. Denn nur, wer Schmerz kennt, kann sich moralisch entwickeln und auf Gewalt verzichten. Kinder sollen scheitern dürfen, denn auch für Kinder gilt: Grau ist alle Theorie. Fühlbar und beherrschbar wird nur das selbst Erlebte.
Ruhe, Freiheit und Kreativität sind für die meisten Kinder heute zu Luxusgütern geworden. Hier liegt es primär an den Eltern, die Kinder da zu schützen, wo es wirklich notwendig ist und ihnen Zeit zu schenken, die sie mit der Familie oder Freunden verbringen können.
Kinder nicht verplanen
Kinder haben heute einen dermaßen vollen Terminkalender, dass man sich fragen muss, ob sie eventuell auch noch als Manager tätig sind. Musikunterricht, Sport, Nachhilfe etc. befüllen gnadenlos die Wochen der Kinder und Eltern fragen sich immer wieder, warum das Kind keine Freunde hat oder nie rausgeht. Vermutlich liegt die Erklärung in nicht vorhandener Zeit.
Falscher Ehrgeiz der Eltern
Viele Eltern versuchen, über ihre eigenen Kinder selbst vergebene Chancen auszugleichen und sehen Neigungen und Talente, die sie selber gerne hätten, aber realistisch betrachtet auch beim eigenen Nachwuchs nicht vorhanden sind. Wenn man sich so manche Casting-Show ansieht, stellt man sich nicht selten die Frage, warum Eltern diese Demütigung des Kindes vor Millionen Zuschauern nicht verhindert haben. Ein sachlicherer Umgang mit den Talenten und Wünschen der Kinder könnte hier viel Unheil verhindern.
Gemeinsame Zeit in der Familie
Jede noch so gute Freizeitbeschäftigung, jeder noch so gut gemeinte Unterricht kann eines nicht ersetzen: Zeit in der Familie. Diese Momente sind für Kinder wichtig und unverzichtbar. Neben einer gut funktionierenden Einbindung in ein soziales Gefüge, wie Schulklasse oder Freundeskreis, gibt vor allem die Familie Kindern den nötigen Halt und das enorm wichtige Vertrauen, eine Basis zu haben, von der es losfliegen und das Leben und die Welt entdecken kann. Familiäre Momente können gemeinsam erlebt werden, wenn man sich zusammenfindet, um gemeinsam etwas zu unternehmen, zu essen oder zu spielen.
Viel Erfolg! Ihr Dr. Peter Schmidke
04.03.2024, Rubrik: Artikel, GBB-Aktuell, Kommentar schreiben,