Seelische Gesundheit: Seele – Sucht – Sehnsucht – Teil 5

Im Rahmen der Rückfallprävention lernte Paul, dass es nicht nur darauf ankommt, einen Rückfall zu vermeiden, sondern dass es genauso wichtig ist, aus einem Ausrutscher keinen Dauerzustand zu machen.
Daraufhin habe ich einen Notfallplan entwickelt und mit ihm vereinbart, dass er die Telefonnummer von seinem Hausarzt immer bei sich haben sollte.
Zu 3: Rückfallprophylaxe
Und die von seinem alkoholkranken (seit 10 Jahren abstinent lebenden) Freund.
Darüber hinaus lernte Paul, über eigene Gedanken in Risikosituationen zu reflektieren. In Risikotrinksituationen gehen ihm ständig Gedanken durch den Kopf wie »Wenn ich jetzt trinke, wird der Tag vollkommen sein«, »Alle gönnen sich was nach einem angespannten Tag«. Diese Gedanken münden meistens in so genannte erlaubniserteilende Gedanken wie »Ich werde nicht mehr als ein Glas Bier trinken, dies kann nicht so gefährlich sein«, »Ein Bier schadet nicht«. Dem Gedanken folgt die Handlung des Trinkens. Jede Kette dieser Gedanken wurde analysiert und reflektiert. Wichtig ist, dass Paul lernen konnte, diese Gedanken im Alltag zu reflektieren.
Weiterhin wurden soziale Verführungssituationen identifiziert (Geburtstagsparty, Treffen mit Freunden zum Essen, Partys mit Arbeitskollegen, Sommer-, Weihnachtfeste etc.). Es war wichtig für Paul zu lernen, durch Rollenspiele und Ablehnungstraining die Trinkangebote der Freunde, Bekannten und der Arbeitskollegen bestimmt und höflich abzulehnen. Vor dem Hintergrund der Charakterstrukturen von Paul war dies notwendig. Im Laufe der Übungen kam er zu dem Schluss, dass es für ihn einfacher wäre, allen Bekannten, Freunden (Ausnahme: Arbeitskollegen) offen mitzuteilen, dass er alkoholkrank sei und dass sein Therapeut und sein Arzt ihm vom Trinken abgeraten hätten. Trotzdem habe ich Paul ermuntert, soziale Verführungssituationen aufzusuchen und zu versuchen, das Gelernte in Bezug auf das Ablehnungstraining umzusetzen. Die erlebten Erfahrungen wurden in den Einzelsitzungen ausgewertet.
Zu 4: Aufbau eines eigenen selbstfürsorgenden, gesundheitsförderlichen Verhaltens
Im Laufe der Therapie ist Paul der Zusammenhang zwischen einer ausgeglichenen Lebensführung und dem abstinenten Leben deutlich geworden. Deshalb war es notwendig, zu versuchen, den Patienten bei der Lösung partnerschaftlicher Probleme zu unterstützen. Ich habe seine Frau zu einem Gespräch eingeladen. In der Paarberatung ging es darum, Situationen herauszuarbeiten, die im Rahmen der Paarbeziehung die Abstinenz von Paul gefährden könnten. Zum Beispiel: Die Verfügbarkeit von Alkohol zu Hause und Streit in der Familie. Es wurde besprochen, wie man Geburtstage oder andere Treffen mit Freunden ohne Alkohol organisieren könnte. Gleichzeitig war es wichtig, die wiederholten Enttäuschungen und gegenseitigen Verletzungen aufgrund der Alkoholerkrankung des Partners zu verarbeiten. Da ich Bezugstherapeut von Paul bin, war es mir wichtig, dass die Paartherapie im Allgemeinen bei einem meiner Kollegen stattfindet. Sowohl Paul als auch seine Frau haben sich darauf eingelassen und gefreut.
Meistens wird Alkohol missbraucht, um eigene Gefühle regulieren zu können. Dies ist notwendig, wenn wir nicht gelernt haben, unsere Gefühle als normale psychische und körperliche Reaktionen wahrzunehmen und zu akzeptieren.
Hier war es wichtig, dass Paul seine Biografie reflektierte. Der Vater war auch Alkoholiker. Er hat alles in der Familie bestimmt. Auch Paul hatte nach der Pfeife des Vaters tanzen müssen. Für Gefühle und Zärtlichkeiten gab es keinen Raum. Der Vater war meistens abwesend. In den Tagen, an denen er zu Hause war, hat er Angst und Terror verbreitet. Ohrfeigen gehörten zum Alltag. Paul hat als Kind lernen müssen, dass seine Gefühle, sein Ärger oder Wut nur Bestrafung mit sich brachten. Entsprechend ist er im Alltag unsicher und konfliktscheu. Er hat auch als Jugendlicher gelernt, dass seine Traurigkeit und Einsamkeit nur durch Alkohol zu bewältigen seien. Paul lernte im Rahmen der Therapie, seine Gefühle zu identifizieren, zuzulassen, zu akzeptieren und konstruktiv mitzuteilen. Zusätzlich hat er mühsam gelernt, Achtsamkeitsübungen im Alltag zu integrieren, um die eigenen Gefühle herunterregulieren zu können. Das Erlernen eines konstruktiven Umgangs mit den eigenen Gefühlen, war eine Grundvoraussetzung für eine gesunde gefühlsorientierte Kommunikation, die Paul mit sich und seiner Umgebung in Einklang und Harmonie bringt.
Das Abschlussgespräch nach etwa 1,5 Jahren therapeutischer Begleitung war sowohl für mich als auch für Paul sehr bewegend. Paul hat es geschafft, sein Leben umzustellen und seine Suchterkrankung zu kontrollieren. Darauf war nicht nur ER stolz, auch ICH war stolz, und darüber habe ich mich riesig gefreut.
Mögliche Konflikte im Umgang mit Süchtigen
Durch die Abhängigkeitsstrukturen, die ungleichen hierarchischen Bedingungen und die oft negative Grundeinstellung sind viele Gespräche und Kundenkontakte konfliktträchtig. Oft genug prallen sehr unterschiedliche Interessen aufeinander.
Dieses wird noch erschwert durch die besondere Situation der Menschen mit Sucht. Je nach Erkrankung sind ihre Wahrnehmung, ihr Denken, ihre Fähigkeit zum Schlussfolgern, ihre Motivation usw. gestört.
Was macht den Kontakt und das Gespräch mit Menschen, die süchtig sind, so schwer?
Konfliktsymptome und Mechanismen:
- Verschlechterung der Kommunikationsbeziehung
- steife und förmliche Kommunikation
- zunehmende Feindseligkeiten/Sticheleien
- Streit über Kleinigkeiten
- Bei Problemen wird der Schuldige, nicht die Lösung gesucht.
- Gespräche drehen sich im Kreis.
- Laufend werden neue Einzelheiten, Fakten, Themen in den Konflikt eingebracht.
- Gespräche finden kein Ende.
- Projektion von Negativem auf den Konfliktpartner
- Vertauschen von Ursache und Wirkung von Handlungen
- Zusammenhänge werden stark vereinfacht.
- Drohungen
Möglichkeiten der Konfliktreduzierung:
Zu unterscheiden sind beeinflussbare Faktoren und gegebene Faktoren.
Beeinflussbare Faktoren sind z. B. die Uhrzeit und die Sitzordnung. Menschen mit Sucht-Erkrankungen sollte man nicht früh am Morgen einladen. Und eine Kooperation erreiche ich schlechter durch eine konfrontative Sitzordnung (nicht genau gegenüber sitzen, sondern eher winklig).
Überlegen Sie, welche Möglichkeiten Sie haben, eine schwierige Situation zu entkrampfen und ein Gespräch möglichst positiv zu gestalten.
Viel Erfolg!
Ihr Dr. Peter Schmidke
08.04.2025, Rubrik: Artikel, GBB-Aktuell, Kommentar schreiben,