Seelische Gesundheit: Seele – Sucht – Sehnsucht – Teil 4

Das Ziel der Therapie von Alkoholkranken soll immer die Abstinenz sein. Beim gleichzeitigen Vorliegen anderer lebensbedingter Krankheiten hat die Behandlung der Sucht immer Priorität.

Während der Therapie ist es wichtig und notwendig für eine erfolgreiche Behandlung, dass der Betroffene keinen Alkohol mehr trinkt, sonst besteht kaum Aussicht auf Erfolg.

Der Weg aus der Alkoholfalle am Beispiel von Paul

Mit Paul wurde vereinbart, dass er sich einer Entgiftung unterzieht, bevor mit der Therapie begonnen werden kann. Dies muss unter ärztlicher Beobachtung stattfinden, weil die Entzugssymptome heftig auftreten können und es zu einem lebensgefährlichen Alkoholdelir kommen kann. Nach der Entgiftung haben wir mit der Therapie angefangen. Gemeinsam wurden folgende Therapieziele herausgearbeitet:

  1. Klärung problematischer Trinkmuster und deren möglichen Folgen
  2. Frühzeitiges Erkennen und konstruktiver Umgang mit dem Alkoholverlangen oder mit dem Suchtdruck
  3. Rückfallprophylaxe
  4. Aufbau eines eigenen selbstfürsorgenden, gesundheitsförderlichen Verhaltens

Die Therapieziele konzentrieren sich sowohl auf das Hier und Jetzt als auch auf die Zukunft, ohne die Vergangenheit außer Acht zu lassen. Sie müssen so praktisch wie es nur geht gestaltet werden und zielen auf Veränderungen im täglichen Leben. Über eigene Probleme und Schwierigkeiten in der Therapie zu sprechen ist wichtig und gut, reicht aber nicht aus, um nachhaltige Erfolge zu erzielen. Dazu bedarf es Veränderungen auf Handlungsebene. Um die eigene Sucht unter Kontrolle zu bekommen, muss das eigene Leben umgestellt werden, sonst ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Sucht wieder zurückschlägt.

Zu 1:

Gemeinsam mit Paul wurde über die Folgen seines Verhaltens reflektiert. Nicht, um ihm ein schlechtes Gewissen zu machen, sondern um ihn zu informieren und für gesunde Alternativverhaltensweisen zu motivieren. Es ging um Sammeln und Recherchieren von Informationen zu dem Thema Alkoholabhängigkeit und deren kurz- und langfristigen psychischen, körperlichen, sozialen sowie familiären Folgen. Paul konnte durch eigene Recherchen eine lange und breite Liste über diese Folgen erstellen.

Folgende Konsequenzen des Alkoholkonsums haben Paul erschüttert und wurden in den Einzelsitzungen thematisiert: Suizidalität, Fettleber, Leberzirrhose, Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse, Schädigung des Magens, Polyneuropathie (bei einer Polyneuropathie ist die Reizweiterleitung der Nerven gestört. Reize werden nicht, zu stark oder abgeschwächt an das Gehirn geleitet), Wernicke-Enzephalopathie (ist eine Störung des Gehirns, die zu Verwirrung, Augenproblemen und Gleichgewichtsverlust führt. Sie entsteht durch Thiaminmangel, auch B1-Vitamin genannt, was u. a. zu Bewusstseinsstörungen, Desorientiertheit und Gangstörungen führt), Korsakow-Syndrom (Gedächtnisstörungen) und Schädigung des Sehnervs.

Im nächsten Schritt habe ich Paul gebeten aufzuschreiben, wie sein Leben aussehen würde, falls diese Folgen bei ihm auftreten würden. Wie wird es seinen Kindern und der Ehefrau dabei ergehen? Dadurch wurden sein Bewusstsein für die Folgen seines Verhaltens für sich und seine Umgebung sowie sein Bewusstsein für die Notwendigkeit eines abstinenten Lebens geschärft. Paul wurde ermutigt, jedes Mal, wenn er Alkoholverlangen verspürte, die Liste durchzulesen. Warum? Die Alkoholabhängigkeit entsteht u. a. auch aufgrund des angenehmen unmittelbaren kurzfristigen Einflusses des Alkohols auf die Psyche in Form von Heiterkeit, Gelassenheit, Freudeempfinden und Reduktion von seelischem Schmerz. Paul musste lernen, mehr an die langfristigen Folgen zu denken als an die kurzfristigen. Danach wurde Paul motiviert, eine Lebenslinie mit einer Verlaufskurve seines Trinkverhaltens über sein gesamtes Leben zu zeichnen. Dadurch konnten verschiedene Phasen des Trinkverhaltens differenziert werden. Durch die Analyse der einzelnen Phasen und deren Vergleich konnte Paul wichtige Faktoren in seinem Leben identifizieren, die eine abstinenzförderliche Wirkung haben. Zu diesen zählten z. B. positive Freizeitgestaltung, stabile Arbeitsverhältnisse, glückliche Partnerschaft, zufriedenstellende Sexualität. Weiterhin fielen ihm bei der Analyse der Verlaufskurve seines Trinkverhaltens viele Peinlichkeiten auf: Sexuale Kontakte mit anderen Frauen, bei denen er sich an die Details nicht erinnern kann, wovon seine Ehefrau nichts weiß und die ihm höchst peinlich waren. Konflikte mit den Kindern und der Ehefrau, wo er handgreiflich und verbal verletzend wurde. Er konnte entdecken, dass das Risiko zu trinken für ihn in den folgenden Situationen hoch ist: Wenn er abends alleine im Haus ist; wenn er mit Freunden in der Kneipe gewesen war; nach einem Konflikt mit der Partnerin; wenn er sich durch die Arbeitsanforderungen überfordert fühlte, mit seiner Überforderung besser umgehen zu können; wenn er sich über die Partnerin oder seine Arbeitskollegen ärgerte, um seine Gefühle runter zu regulieren, und wenn er seine Freizeit nicht aktiv und positiv gestaltete, um aus seiner Langeweile rauszukommen.

Zu 2:

Paul hat, wie viele andere Alkoholabhängige, Schwierigkeiten, das Verlangen nach Alkohol rechtzeitig zu identifizieren. Dies zu lernen ist notwendig, um sich gezielt und frühzeitig vor dem Trinken zu schützen. In mehreren Einzelsitzungen habe ich Paul gebeten, sich die letzten Trinksituationen vorzustellen und sie so genau und ausführlich wie möglich zu beschreiben. Durch die Vorstellung und das Nacherleben der Trinksituationen konnte er feststellen, dass sein Verlangen nach Alkohol mit Durstgefühl, Nervosität und Zittern einhergeht. Durch die Durchführung eines Tagebuches über sein Alkoholverlangen, konnte er lernen, das Verlangen nach Alkohol im Alltag zu identifizieren. Um diese Fähigkeit zu verbessern, ist die Konfrontationstherapie erfolgversprechend. Sie ist im Rahmen der Behandlung von Alkoholabhängigkeit eine gut etablierte Therapie. Sie läuft folgendermaßen ab: Der Betroffene bringt sein Lieblingsgetränk in die Sitzung mit. Eine Trinksituation soll so realitätstreu wie möglich hergestellt werden. Bei Paul war es sein Wohlbefinden nach einer Streitsituation mit seiner Frau.

Der Streit mit seiner Partnerin wurde anhand von Rollenspielen simuliert. Der Betroffene wird dann aufgefordert, sich auf die Alkoholflasche zu konzentrieren und zu beschreiben, was in ihm vorgeht. Danach soll er diese langsam öffnen, an Alkohol riechen, die Zunge mit Alkohol befeuchten, daran schmecken. Gleichzeitig fragt der Therapeut den Betroffenen nach dem Anstieg des Alkoholverlangens. Normalerweise steigt das Verlangen nach Alkohol am Anfang stetig an, ab einem bestimmten Niveau bleibt es stabil, um dann nach einer bestimmten Zeit zu sinken. Die Übung hatte mehrere Ziele: Paul konnte lernen, auf die Signale des Verlangens zu achten und zu erkennen, dass das Verlangen nach einer bestimmten Zeit abebbt. Außerdem konnte er erleben, dass er in der Lage ist, sein Verlangen zu kontrollieren und knifflige Situationen gut zu überstehen.
Die erste Übung erfolgt im Beisein des Therapeuten, danach übt der Betroffene allein ohne therapeutische Begleitung. Anschließend habe ich Paul, als Teil der Konfrontationstherapie motiviert, Restaurants und Kneipen aufzusuchen, in denen er gewöhnlich getrunken hatte. Die Erfahrungen wurden in den Einzelsitzungen ausgewertet. Dadurch gewann er mehr Selbstsicherheit und Selbstwirksamkeit im Umgang mit seinem Suchtdruck und den Risikotrinksituationen. Das automatisierte Trinkverhalten von Paul (Alkohol sehen/an Alkohol denken → Alkoholverlangen → Trinken) wurde unterbrochen.

– Teil 5 folgt! –

Ihr Dr. Peter Schmidke

 

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