Seelische Gesundheit: Seele – Sucht – Sehnsucht – Teil 3

Damit wir uns das Suchtproblem in Deutschland bewusstmachen, müssen wir folgende Statistiken am Beispiel der Drogen Alkohol und Computerspielsucht genau betrachten.

Circa 74.000 Todesfälle pro Jahr sind auf die Folgen von Alkohol zurückzuführen. Ungefähr 26.000 Menschen im Alter zwischen 10 und 20 Jahren wurden 2020 allein deshalb stationär behandelt.

Circa 9,5 Millionen Menschen in Deutschland haben Alkoholprobleme und circa 1,3 Millionen sind alkoholabhängig.

Unsere Gesellschaft hat auch viele lustige Sprüche entwickelt, die das Problem verharmlosen und zeigen, wie wir die Droge Alkohol in unser Leben und Wertesystem integriert haben. »Alkoholiker = Mitmensch, der so viel trinkt, wie Sie und ich, den wir aber nicht leiden können«, »Alkoholiker werden zwar nur halb so alt, aber dafür sehen sie alles doppelt«, »Das Wasser ist des Ochsen Kraft, der Mensch trinkt Wein und Gerstensaft. Drum stoß ich an mit Bier und Wein, wer möchte schon ein Ochse sein«. Koma-Saufen ist ein Hit und Zeichen des Cool-Seins unter Jugendlichen, Tendenz rückläufig – Gott sei Dank. Dafür aber steigt die Anzahl der Computerspielsüchtigen rapide an. Circa 560.000 Süchtige zwischen 14 und 64 Jahren und ca. 2,5 Millionen Menschen dieses Alters sind problematische Internetnutzer. Ungefähr 250.000 Menschen im Alter zwischen 14 und 24 Jahren sind internetabhängig. 1,5 Millionen im gleichen Alter sind aber problematische Internetnutzer. Laut Studie »Kinder in der digitalen Welt« (2020), durchgeführt vom Familienbundesministerium in Kooperation mit dem deutschen Institut für Vertrauen. Übrigens: Der Vergleich zwischen Computerspielen und Alkohol ist überhaupt nicht abwegig.

Alle Suchtstoffe, einschließlich Internet- und Computerspielen, aktivieren das Belohnungssystem im Gehirn, das für Spaß und Freude zuständig ist. Wenn wir etwas tun, was uns Spaß macht, wird dieses System aktiviert. Wir spüren oder haben Spaß, weil die Aktivierung des Systems zur Freisetzung von Glückshormonen, sogenannten Endorphinen, im Gehirn führt. Dies bedeutet, dass die Suchtmittel zu starken Veränderungen der Aktivitäten unseres Gehirns führen und mit der Zeit auch zur Degeneration der Strukturen des Gehirns führen können.

Warum werden Menschen überhaupt süchtig?

»Angesichts der scheinbaren Sinnlosigkeit, angesichts eines abgründigen Sinnlosigkeitsgefühls, wie es heute so sehr um sich greift, bleibt scheinbar nur der Rückzug in die pure Subjektivität bloßer Glücksgefühle, wie die Suchtgifte sie vermitteln.« Viktor Frankl, österreichischer Psychiater

Die Menschen werden süchtig, weil sie ihrer Realität entfliehen möchten. Die Suchtstoffe und -mittel bieten dem Süchtigen dazu eine Alternative an. Der Süchtige kann in einer kurzen Zeit der Mensch sein, der er tatsächlich ist, aber in der realen Welt nicht sein darf. Die Tatsache, dass Menschen Suchtmittel brauchen, um zu sich zu finden, ist an der ersten Stelle ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft und deren Erziehungsmethoden und nicht nur ein grandioses Scheitern der einzelnen Betroffenen, wie es uns die Schulpsychologie zu vermitteln versucht. Dies bedeutet nicht, dass das Individuum von jeglicher Verantwortung für sein Verhalten und seine Gefühle freigesprochen ist. Jeder Mensch ist selbst für sein Glück verantwortlich und dazu verpflichtet, dem eigenen Leben einen Sinn zu geben, um sich selbst vor der um sich greifenden Sinnlosigkeit zu schützen.

Diese Entwicklungsaufgabe gestaltet sich mehr oder minder schwer, je nachdem, welche gesellschaftlichen Bedingungen herrschen. Die unter dem Einfluss von Suchtstoffen und -mitteln erfahrenen Erlebnisse dienen meistens dem Ausgleich negativer Erlebnisse der realen Welt und des tagtäglich erlebten Scheiterns in Bezug auf die eigene Selbstentwicklung. Für dieses Scheitern kann nicht nur das Individuum alleine verantwortlich gemacht werden. Unsere Cool-Sein-Gesellschaft tabuisiert das Erleben und Mitteilen der eignen negativen Gefühle, verherrlicht die Inszenierung, toleriert keine Schwäche und gibt dem Schein mehr Gewicht als dem Sein. Freie Räume zur Auseinandersetzung mit den negativen Gefühlen auf gesellschaftlicher Ebene werden immer enger. Alles, was nicht in das Bild einer coolen, leichten und harmonischen Gesellschaft passt, wird durch unsere Unterhaltungsmedien glattgebügelt, obwohl die Realität gar nicht so heil aussieht. Konkurrenzkampf, Feindseligkeit, Angst und die große Schere zwischen Arm und Reich beherrschen das gesellschaftliche Bild. Unter diesen Bedingungen muss der Einzelne funktionieren. Er darf nicht das sein, was er ist, sonst wird er als nicht mehr belastbar, schwach und krank stigmatisiert und zur Behandlung geschickt. Um funktionieren zu können, bleibt vielen Menschen nichts anderes übrig, als »in die pure Subjektivität bloßer Glücksgefühle, wie die Suchtgifte sie vermitteln«, zu flüchten. Es muss sich nicht nur um Suchtgifte handeln, sondern auch die Unterhaltungsmedien und das Essen können in diesem Sinne umfunktioniert werden.

Weitere Ursachen

Es gibt für Sucht nicht DIE Erklärung. Das Phänomen ist so komplex und vielfältig wie die Menschen, die darunter leiden. Deshalb werde ich von bestimmten Risikofaktoren sprechen. Es gibt bestimmte genetische Prädispositionen, die die Anfälligkeit für Sucht erhöhen. Aber diese Gene zu haben bedeutet nicht, automatisch süchtig zu werden, und sie nicht zu haben bedeutet nicht automatisch, dass wir nicht süchtig werden können. Im Allgemeinen kommt es auf das Zusammenspiel von Genen und Umwelt an. Es steht aber fest, dass bestimmte Menschen Alkohol nicht vertragen, weil bei ihnen ein bestimmtes Enzym nicht ausreichend produziert wird. Diese wiederholen den Konsum von Alkohol nicht und sind damit lebenslänglich vor einer Alkoholabhängigkeit geschützt. Auch die Verfügbarkeit von Suchtmitteln spielt eine wichtige Rolle, ob sich viel oder weniger Süchtige in einer Gesellschaft befinden. Zum Beispiel finden wir mehr Alkoholiker in Deutschland als in Saudi-Arabien, wo Alkohol verboten ist.

Alkohol (Ein Beispiel)

Paul ist 43 Jahre alt, verheiratet und hat drei Kinder. Er ist Angestellter und kam in die Therapie wegen Alkoholproblemen. Jeden Abend trinkt er 4 Bier – und dies seit 10 Jahren. In den letzten Monaten hat er mit dem Trinken von Hochprozentigem angefangen. Er meldet sich häufig bei der Arbeit krank, weil er sich von den Folgen seiner Trinkerei kurieren muss. Als er anfing, schon morgens zu trinken, bekam er massive Konflikte mit seiner Frau. Außerdem wurde er unter Alkohol seiner Frau und seinen Kindern gegenüber aggressiv. Die Frau hat ihm gedroht, sich von ihm zu trennen. Für sein Verhalten seiner Familie gegenüber und für seine Alkoholabhängigkeit schämte er sich in Grund und Boden. Paul berichtet, dass er sich meistens vornimmt, nicht mehr als ein Bier zu trinken. Aber wenn er mit dem Trinken anfängt, kann er nicht mehr aufhören, bis er »stockbesoffen« wird. Am Arbeitsplatz denkt er häufig an Alkohol und versucht, so früh es geht nach Hause zu kommen, um trinken zu können. Manchmal ist der Suchtdruck so stark, dass er in der Mittagspause ein Glas Wein in der Kneipe ne-benan trinkt. Er trinkt, wenn er sich freut, wenn er sich traurig fühlt, wenn er sich unter Stress fühlt, nach einem Streit mit seiner Frau oder mit seinen Arbeitskollegen. Alkohol hilft ihm, sich zu entspannen, runterzukommen und die Welt mit anderen Augen zu sehen. Seine Versuche, ohne fremde Hilfe auf Alkohol zu verzichten, blieben ohne Erfolg. Aber er weiß, dass es so nicht weitergehen kann und dass er auf eine Katastrophe zusteuert, wenn er weiter trinkt.

– Teil 4 folgt! –

Ihr Dr. Peter Schmidke

 

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