Höhen und Tiefen einer beruflichen Weiterbildung
An einem freundlichen Sommertag im Juni lernten wir einen jungen Mann kennen. Erdi stellte sich bei der GBB in Berlin-Lichtenberg vor. Sein Wunsch war es, eine Weiterbildung im Verkauf zu beginnen und den Kassenpass zu erwerben.
Im Laufe des Beratungsgespräches erzählte er über sich und sein bisheriges Leben: Er hatte die Hauptschule abgeschlossen. Die Zensuren waren nicht besonders gut und er fand keinen Ausbildungsplatz. Mit Gelegenheitsjobs finanzierte er mehr schlecht als recht seinen Lebensunterhalt. Er lernte ein Mädchen kennen und wurde sehr früh Vater.
Die Mutter des Kindes hatte viele persönliche Probleme und war nicht in der Lage, sich angemessen um das Kind zu kümmern. Über längere Zeiträume war Erdi plötzlich alleinerziehender Vater. An eine Ausbildung war nun noch weniger zu denken. Im Vordergrund standen die Versorgung und Betreuung des Kindes. Zeit und Kraft reichten gerade so für wechselnde Aushilfsjobs, oft nicht einmal dafür, dann musste Hartz IV beantragt werden. Nicht immer waren die Kumpels auch die besten Freunde und mancher Ratschlag war nicht so gut.
Eingangsberatung
Nun saß ein junger Mann bei uns, der sich endlich beruflich entwickeln wollte, um möglichst bald seinen Lebensunterhalt selbstständig verdienen zu können und der den vagen Wunsch hatte, irgendwie Karriere machen zu wollen.
Wir haben uns damals lange unterhalten und einen ersten, noch ganz groben, Plan entwickelt, welcher Weg geeignet sein könnte. Vielleicht könnte Erdi später Verkaufsstellenleiter einer Supermarktfiliale sein?
Der erste Schritt würde es sein, die Weiterbildung zum Kassenpass zu absolvieren und sich dabei schon möglichst viele weiterführende Kenntnisse für den Einzelhandel anzueignen. Außer den Kenntnissen für den Kassenpass sollte das noch Wissen zu Textilien, zu Lebensmitteln und zu freiverkäuflichen Arzneimitteln sein. Die Absicht dabei war, möglichst vielfältige Einsatzgebiete im Verkauf zu eröffnen und so schon eine Basis für die weitere berufliche Entwicklung zu schaffen.
Als zweiter Schritt war ein Praktikum geplant, um die theoretischen Kenntnisse dann auch anwenden zu können und noch einmal zu überprüfen, ob die gewählte Berufsrichtung wirklich richtig ist.
Bei tatsächlicher Eignung für den Beruf und nach erfolgreicher Aneignung von Basiskenntnissen war vorgesehen, gemeinsam mit unserem Jobcoach nach Möglichkeiten einer Ausbildung zum Verkäufer oder Einzelhandelskaufmann zu suchen.
Soweit der Plan, dem Erdi begeistert zustimmte.
Anfang Juli 2016 war es dann soweit und Erdi startete mit seiner Weiterbildung. Etwa sechs Wochen verlief alles nach Plan. Erdi gab sich große Mühe, sich die verschiedenen Themen anzueignen. Er lernte, welche Merkmale ein Kaufvertrag hat, was zum Thema Jugendschutz im Verkauf wichtig ist, wie verschiedene Kassen funktionieren, was beim Kassieren alles zu beachten ist und vieles mehr. Das Lernen fiel ihm nicht leicht. Besonders das Rechnen mit Prozenten war eine wirkliche Herausforderung. Manchmal kam er morgens sehr abgehetzt, wenn er das Kind erst in die Kita hatte bringen müssen. Manchmal rief die Kita an und er musste das erkrankte Kind abholen.
Mitte August bemerkten wir, dass der Elan von Erdi deutlich nachließ. Es kam vor, dass er montags sehr verspätet kam, weil er zu lange mit Kumpels gefeiert hatte. Die Probleme zu Hause häuften sich gerade. Das Lernen schien ihm gar nicht mehr so wichtig zu sein. Eine Krankschreibung kam.
Zu diesem Zeitpunkt fragten wir uns im Team am Standort Lichtenberg, ob der geplante Weg für Erdi tatsächlich realistisch sein würde. In einer ausführlichen Fallbesprechung erörterten wir, welche Schritte möglich wären, um Erdi zu unterstützen. Unser Ehrgeiz war es, ihn zumindest den Kassenpass erfolgreich abschließen zu lassen.
Gezeigt hatte sich in den ersten Wochen, dass es für Erdi nicht so einfach war, sich auf den Lernstoff zu konzentrieren. Das war nicht nur deshalb so, weil er mit den Gedanken oft bei persönlichen Problemen war. Auch das Lernen selbst war sehr ungewohnt, die Schulzeit lag einige Jahre zurück. Oft dauerte es einfach länger als geplant, bis die wichtigsten Kenntnisse wirklich angeeignet waren. Wir beschlossen deshalb, zunächst alle zusätzlichen Themen für den Verkauf beiseite zu lassen. Einzig und allein der Kassenpass sollte das Ziel sein.
Gespräche des Lernbegleiters, der Schulleiterin und der Bildungsassistentin mit Erdi und die permanente Unterstützung beim Lernen durch alle Mitarbeiter am Standort halfen und im Oktober legte Erdi B. erfolgreich die Prüfung zum Kassenpass ab.
Während der letzten Wochen am Standort hatte sich Erdi mit Unterstützung des Jobcoaches um Praktikumsplätze beworben. Das führte zum Erfolg und er konnte mit einem Praktikum in seinem Wunschbetrieb, einem Backwarenshop, beginnen.
Ende gut, alles gut?
Ja, schon, doch die Geschichte ist damit noch nicht zu Ende. Das Praktikum begann und Erdi B. arbeitete einen Tag im Praktikumsbetrieb. Am zweiten Tag kam ein Anruf der Praktikumsbetreuerin. Sie war verärgert. Erdi war nicht zur Arbeit gekommen, hatte sich auch nicht gemeldet. Dabei war seine Arbeit am ersten Tag ausgesprochen gut gewesen. Wir versprachen, uns darum zu kümmern und baten gleichzeitig darum, Erdi noch eine zweite Chance zu geben, denn der Betrieb drohte sofort mit der Kündigung des Praktikumsvertrages. Ein Anruf bei Erdi ergab, dass er krank geworden war und beim Arzt saß. Wir baten ihn sehr nachdrücklich, sich sofort im Betrieb zu melden. Das tat er auch und entschuldigte sich, weil er nicht gleich angerufen hatte. Nach wenigen Tagen konnte er weiter dort arbeiten. Das Praktikum wurde erfolgreich und mit einer sehr guten Beurteilung abgeschlossen.
Und wie geht es weiter?
Eine Kundin, die täglich im Backshop ihr Frühstück geholt hatte, sprach Erdi nach drei Wochen an. Er war ihr aufgefallen, weil er ausgesprochen kundenorientiert war, immer freundlich und höflich und offensichtlich Spaß an der Arbeit hatte. Die Kundin stellte sich als Inhaberin einer Confiserie vor und bot Erdi an, für sechs Wochen zur Probe in einem Minijob bei ihr zu arbeiten.
Nicht so toll?
Doch. Wenn Erdi sich in dieser Arbeit bewährt, schließt diese Unternehmerin mit ihm einen Ausbildungsvertrag ab. Er kann seinen Wunschberuf von der Pike auf erlernen, endlich einen Berufsabschluss erwerben und hat nach der erfolgreich abgeschlossenen Ausbildung weitere Entwicklungsmöglichkeiten im Unternehmen. Übrigens wollte auch der Praktikumsbetrieb Erdi als Auszubildenden gewinnen, aber da hatte er sich schon für das andere Angebot entschieden.
Noch ein weiter Weg?
Sicher. Aber die ersten Schritte sind getan und Erdi ist gegenwärtig im angebotenen Minijob tätig. Bis jetzt sieht alles nach einer Erfolgsgeschichte aus.
Und unser Team am Standort?
Wir freuen uns wie die Schneekönige, einen unserer Teilnehmer ein Stück auf dem Weg zu seinem persönlichen Erfolg begleitet zu haben. Und wir sind bestärkt darin, nicht gleich bei den ersten Schwierigkeiten aufzugeben, sondern gemeinsam mit unseren Teilnehmern und dem gesamten Team nach Wegen zu suchen, Weiterbildungen erfolgreich abzuschließen und die berufliche und persönliche Entwicklung zu unterstützen.
Wir wünschen Erdi B. für seinen weiteren Weg alles Gute und immer die Kraft, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen.
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19.12.2016, Rubrik: Titel, GBB-Aktuell, Kommentar schreiben,